oder wie der wahre Körper endlich zur Ware wurde.
In prähistorischer Zeit bahnt der Schamane mit dem Schnitt in den Körper einen Ausweg für die bösen Geister, von denen er den Körper befreien will.[1] Die Muster von Körper, Sex und Gender sind in mythologisch/religiös geprägte Vorstellungen eines „wahren“ Körpers eingebunden.
De/Konstruktion ist normativ/ethisch eingegrenzt: die einem Schöpfergott bzw. den Gottheiten und/oder der Natur zugeordneten de/konstruktiven Effekte bilden die vorgefundenen Parameter, die nicht überschritten werden. Der „wahre“ Körper ist der von Gott/Natur geschaffene Körper, dessen Muster nur zur Lobpreisung seines Schöpfers kontemplativ de/konstruiert wird.
Bis in die Neuzeit werden sich Vorstellungen und gesellschaftliche Praktiken, die das Muster von Körper, Sex und Gender de/konstruieren, an der Frage orientieren: Was darf und soll ich tun, um meiner göttlichen/ natürlichen Bestimmung zu genügen?
Die entscheidende Wende tritt Ende des 18.Jh. mit der Vorstellung ein, dass der Körper eine durch Reiz/Reaktion vom Menschen kontrollierbare „Organmaschine“ sei. „[2] Die Grenzen von Mythologie und Religion werden überschritten, indem Vorstellungen der biologischen Funktionen und Erklärung sowie der Unterwerfung und Nutzbarmachung[3] die Muster von Körper, Sex, Gender. de/konstruieren. Die leitende Frage lautet nun, wie funktioniert der Körper als biologischer Zusammenhang und wie kann ich ihn für gesellschaftliche Zwecke einsetzen/optimieren? Der „wahre“ Körper ist der „gesunde“ Körper, der in den gesellschaftlichen Produktions- und Herrschaftsverhältnissen funktionale Leistungen erbringt.
Seit Mitte des 19.Jahrhunderts etabliert sich die Plastische Chirurgie als besondere Disziplin.[4] Der Maßstab für die Vorstellungen, nach denen der chirurgische Schnitt die Körpermuster auch physisch de/konstruiert, sind die Regeln sozialer Akzeptanz und Funktionstüchtigkeit. Die Grenzen der Natur werden mit Hilfe der Kenntnisse ihres Funktionierens überschritten, um den „wahren“ i.e. gesellschaftlich „gesunden“ Körper zu de/konstruieren, der aber als natürlich wirken soll. Die Vorstellungen und Praktiken der De/Konstruktion bleiben in der Darstellung des Resultats als eines scheinbar naturgeformten Körpers verborgen. Der „wahre“, Körper ist doppelt gesellschaftlich codiert: nach Maßgabe seines „gesunden“ Leistungsvermögens und der Ideologie des Natürlichen, die sich über die Vorstellungen und Praktiken seiner De/Konstruktion stülpt und sie verhüllt.
Inscene yourself – dieser Slogan eines Modeherstellers [5] Ende des 20. Jahrhunderts gilt nicht mehr nur für die Kleiderhülle des Körpers, sondern für ihn selbst. Die Entwicklung der Technologie ermöglicht Vorstellungen, die bislang indisponible Körpermuster „entbergen“: Techne [6] als Kunst und Technik de/konstruiert ein Formatierungspotential des Körpers, das ihn aus den als „wahr“ codierten Bestimmungen gesellschaftlicher Zwecke und natürlicher Gesundheit herauslöst.
Der Ausschlussmechanismus selbst, der von der Vorstellung eines „wahren“ Körpers aus das Andere denunziert, wird in seiner bipolaren Struktur de/konstruiert . Durch die Techne wird der Körper auf ein Drittes bezogen, das nicht im „Gestänge und Geschiebe und Gerüste“[7] des Technisch/Instrumentalen und der zweckrationalen Optimierung aufgeht. „[8] Es geht um die Herausforderung, in den Mustern von Körper, Sex und Gender das Andere, ein zuvor Nicht-Disponibles als Potential zu de/konstruieren und es als Vorstellung verfügbar zu machen, als Bild zu „erobern“, wie es Heidegger formuliert hat.
„Man sieht also Körper, weibliche, männliche Körper, kombinierbar ohne Ende, und was im Bild kombinierbar ist, kann natürlich auch in der Wirklichkeit kombinierbar sein.“[9]
Alain Finkielkraut
Die medial vermittelten Vorstellungen dessen, was machbar ist, de/konstruieren ein Muster von Körper, Sex und Gender, für das es nicht mehr den einen „wahren“ Körper gibt. Statt durch essentielle, natürlich oder gesellschaftlich begründete „wahre“ Parameter und Grenzen organisiert sich der Körper über vielfältige, hybride und temporäre „Differenzfelder“.[10]
Die leitende Frage lautet: „Wie will ich aussehen?“
Mit dem Ende der als Natur /Schöpfung(v)erklärten und gesellschaftlich sanktionierten Vorstellungen, die Körper, Sex und Gender „wahre“, festumrissene Identitäten zugeordnet haben, ist eine Vielfalt möglicher und machbarer „Schnitt/Muster“ eines anderen Körpers eröffnet. De/Konstruktion wird zum kombinatorischen Spiel mit androgynen, multiplen und polymorphen Mustern von Körpern, die „Inter/Faces“ bezeichnen: temporäre „Zwischen/Gesichter“, die stets erneut de/konstruiert werden können und hybride Schnittstellen, die sich als mediale Oberflächen präsentieren.
What you see is what you get – der Körper kann, wie er vorgestellt wird, hergestellt werden. Ist die Vorstellung eines „wahren“ Körpers de/konstruiert, so muss auch der physische Körper nicht mehr als der „wahre“ hingenommen werden. Das Muster „Natur“ ist nurmehr eine von vielen Optionen und hat auch als Ideologie ausgedient: die Praktiken und Effekte der plastischen Chirurgie werden nicht mehr unter dem Schein des Gesunden und Natürlichen verhüllt, sondern in öffentlichen Szenarien enthüllt.
In den 90er Jahren hat die französische Multimediakünstlerin Orlan[11] mit ihrem Projekt „L’Art Charnal“ („Fleischliche Kunst) die De/Konstruktion des Körpers in chirurgischen Performances als ein Spektakel aus Anatomischen Theater und Theater der Grausamkeit inszeniert. Orlan de/konstruiert das „ready made“ des eigenen Körpers nach Vorstellungen, die die natürlichen wie die gesellschaftlichen Grenzen aufbrechen und überschreiten. Die Praktik der De/Konstruktion als eine Abfolge temporärer Inter/Faces wird in „L’Art Charnal“ zum radikalern und blutigen Diskurs, der öffentlich und prinzipiell ohne Ende geführt wird.
Fast zeitgleich in den 90er Jahren hat die Amerikanerin Cindy Jackson begonnen, ihren Körper einer Serie von chirurgischen Eingriffen zu unterziehen. Inzwischen hält sie mit 38 plastischen Operationen den „Weltrekord“[12] und kann als prototypisch für die Entwicklung einer „Fröhlichen Chirurgie“ betrachtet werden: Wie die „Fröhliche Wissenschaft“ orientiert sich die „Fröhliche Chirurgie“ an einer Lebens/Kunst, die „tapfer [ist] bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehen zu bleiben, den Schein anzubeten.“(Friedrich Nietzsche)
Cindy Jacksons Körper erscheint als die Inkarnation der von ihr favorisierten Vorstellung der Plastik- Barbie als Organisationsmuster von Körper, Sex und Gender: Ihr Körper ist Plastik im Doppelsinn von Form und Material. „Auf der einen Seiten der tellurische Rohstoff, auf der anderen Seite der perfekte Gegenstand. Zwischen diesen beiden Extremen nichts; nichts als ein zurückgelegter Weg, der von einem Angestellten mit Schirmmütze, halb Gott, halb Roboter, überwacht wird.“[13]
Bereits als Kind litt Cindy unter der vermeintlich schöneren und beliebteren Schwester.[14] So verbindet sie mit einer Barbie-Puppe, die sie als Geschenk erhielt, die Vorstellung von einem schöneren Körper und besseren Leben: das Muster von Körper, Sex, Gender wird bezogen auf sozialen Status und Anerkennung, den Konkurrenzparametern auf einem Markt der gesellschaftlichen Beziehungen.
Was als die De/Konstruktion des „wahren“ Körpers begann, endet in der „Fröhlichen Chirurgie“ als die Produktion eines Waren- Körpers.
Die vielfältigen, hybriden und temporären Differenzfelder, die de/konstruktiv eröffnet wurden, werden auf eine Oberfläche der Erscheinungen reduziert, die wiederum durch die Vorstellung eines „wahren“ Körpers organisiert ist: nämlich des Körpers als Ware.
Der Körper wird als „Vorher“/“Nachher“ Ereignis inszeniert, in dem der chirurgische Schnitt als de/konstruktive Praktik „verschwindet“ und nur unter dem Aspekt des erfolgreichen und perfekten Resultats betrachtet wird. Der Maßstab „erfolgreich“ ist an Marktregeln orientiert, die die gesellschaftlichen Beziehungen im Privaten wie im Berufsleben bestimmen. „Schönheit siegt immer,“ verheißt der Schönheitschirurg Dimitrij Panfilov.[15]
Es wird zur leitenden Frage: „Wie muss ich aussehen wollen, um erfolgreich zu sein ?“
Dem perfekt de/konstruierten Körper werden wie einem Fetisch besondere Effekte zugeschrieben. Der chirurgische Schnitt soll den Körper zwar nicht wie in prähistorischer Zeit von bösen Geistern befreien, aber vom negativ sanktionierten Körper „Vorher“, so dass durch den Körper „Nachher“ Wohlstand, Glück und Erfolg als gleichsam „gute Geister“ herbeigerufen werden.[16] Cindy Jackson spricht von ihrem Körper „Vorher“ wie von einer fremden, verstorbenen Person.“ I don’t even associate myself with that person. She’s dead. I cut her up.“[17] Und „Nachher“- endllich-: „I started getting successful professional men after me, men with money.“[18]
Durch das „Verschwinden“ der de/konstruktiven Prozesse im Resultat verdinglichen die nach den Vorstellungen der „Fröhlichen Chirurgie“ de/konstruierten Muster des Körpers zur „zweiten Natur“. Sie erscheinen als Dinge, die als Waren käuflich sind.
„What you see is what yout get“ bezeichnet in der „Fröhlichen Chirurgie“ nicht mehr die Schnittstelle von Vor- und Herstellung einer Vielfalt an Mustern von Körper, Sex und Gender, sondern die Schnittstelle von Angebot und Nachfrage einer marktorientierten Produktpalette an Körpermustern. Der „wahre Körper“ ist der Körper als „Ware“ und vice versa: die „wahren“ Körper stehen zu Waren- Körpern verdinglicht zur Auswahl und zum Kauf bereit; umgekehrt umfasst das Angebot an Waren- Körpern nur die „wahren“ Körper, i.e. solche, die den gesellschaftlich positiv codierten Erfolgsmustern entsprechen.
Wie vormals die „erste“, so funktioniert nun erneut die „zweite Natur“ der wa(h)ren Körper als ein Ausschlussmechanismus.
De/Konstruktion verschiebt sich in der „Fröhlichen Chirurgie“ von der Techne des „Ent-bergens“ zur Technik des „Ver-bergens“ eines Anderen. Instrumentell ausgerichtet zielt sie als Technik darauf ab, den Körper nach den wa(h)ren Vorstellungen für den Arbeits- und Beziehungsmarkt zum perfekten Produkt zu optimieren und Muster eines Anderen als (Stör)Potential zu verbergen.
Die Vielfalt, die in den Differenzfeldern de/konstruktiv eröffnet war, wird zur Ideologie ihrer selbst: „What you see is what you get“ -weil das, was vorstellbar ist, auch herstellbar ist-, verschleiert als die Verlockung des Marktsortiments, auf das die Vielfalt reduziert ist, genau diese Konditionierung durch den Konkurrenzdiskurs, für den nurmehr vorstellbar ist, was auch (ver)kaufbar ist. Von hier aus wird mit Ausschluss sanktioniert, was den Vorstellungen der „Fröhlichen Chirurgie“ nicht folgt, nicht folgen kann oder nicht folgen will.[19]
Das „Happy End“ der „Fröhlichen Chirurgie“, die mit dem Erwerb des „wa(h)ren“ Körpers ein erfolgreiches glückliches Leben“ verspricht, erweist sich als trügerisch:
Gerade wenn und solange diese gesellschaftliche Praktik der Fetischisierung des „wa(h)ren Körpers“ funktioniert, muss er immer wieder erneut erworben werden. Aus dem kombinatorischen Spiel der De/Konstruktion des „wahren“ Körpers wird in der „Fröhlichen Chirurgie“ der Plan zum Kauf des Körpers als Ware: „Mit Ende 20 das erste Peeling, dann etwas Botox und Lasern. Mit 50 das erste Facelift, das zweite mit 65.“[20]
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Beitrag: PostModerne De/Konstruktionen Graduiertenkonferenz Erlangen [2002]
Talk: Fachtagung: Schön oder hässlich – Normierung, Abweichung und Überschreitung geschlechtlicher Identitäten
Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Leipzig [2003]
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[1] History of Medical Careers ,
library.thinkquest.org/15569/hist-2.html [10.10.2002]
Der operative Vorgang wurde mit Steininstrumenten ausgeführt und glich der Trephination, der Schädelbohrung, wie sie auch heute noch praktiziert wird.
[2] Peter Sarasin, 2001, Reizbare Maschinen, Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, , Frankfurt/M, Suhrkamp
[3] Michel Foucault, 1977, Überwachen und Strafe. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M, Fischer
id. 1999, 5.Aufl., Die Geburt der Klinik, Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt/M, Fischer
[4] History of Plastic Surgery,
plasticsurgery.org/overview/pshistry.htm [10.10.2002] [nicht mehr online]
History of Facial Plastic Surgery
facial-plastic-surgery.org/patient/about_us/h_father.html
[10.10.2002] [nicht mehr online]
[5] inscene.de [10.10.2002] [nicht mehr online]
“ INSCENE die Young-Fashionmarke für Boys und Girls“, die mehr als nur Kleidung verkaufen, sondern ein ganzes Lebensfeeling vermitteln will. Das „Outfit“ ist Teil und Ausdruck einer „philosopy“, die den gesamten Alltag zum Raum einer permanenten Selbstinszenierung erklärt.
[6] Martin Heidegger, [1949],1962, Die Technik und die Kehre, Vortrag 01.12.1949, Club zu Bremen,
erw. Fassung „Die Frage nach der Technik“, 18.11.1955, Pfullingen, Neske
[7] ibid. p. 20
[8] ibid.; Heidegger hat diese Eigenschaft der Techne als „Ge-Stell“ bezeichnet:
„… die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist“.
[9] Alain Finkielkraut, 2000, Gespräch „Das neue Menschenbild. Die Konstruktion des Humanen“, 03.05.2000, ZKM Karlsruhe, in: Carl Hegemann, (ed)., Glück ohne Ende, Kapitalismus und Depression II, Berlin, Alexander Verlag, p.25
[10] Donna Haraway, 1995, Die Neuerfindung der Natur, Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/M, Camus, p. 48; p.172 Als „Differenzfelder“ bezeichnet Haraway das Muster der De/Konstruktion von Körper, Sex, Gender, das sich der Codierung durch Natur/Kultur entzieht.
[11]cicv.fr/creation_artistique/online/orlan/index1.html [10.10.2002] [nicht mehr online]
[12] http://www.cindyjackson.com [10.10.2002]
Carmen Butta 2002, Die Zeit, 02/2002
zeit.de/2002/02/Politik/print_200202_schoenheit.3.html [10.10.2002] [nicht mehr online]
[13] Roland Barthes, 1985, Plastik, in: Plastikwelten, Ausstellungskatalog, Berlin, Elefanten Press, p. 6
[14] Carmen Butta 2002, p. 10f
[15] taz Nr. 6310 vom 30.11.2000, p. 6
[16] Dass, „wer gut aussieht, mehr Chancen im Leben hat“ bestätigt auch eine Umfrage der Frauenzeitschrift Brigitte, die 1978 und erneut 2001 durchgeführt wurde. Interessant ist der Wechsel zwischen Beruflichem Erfolg und Privatleben: 1978 vermuteten 51% bessere Chancen im Privatleben durch ein besseres Aussehen; im Beruf hingegen nur 33%. Im Jahr 2001 wird nahezu umgekehrt gutem Aussehen für den Beruf eine größere Bedeutung zugemessen: 57% gegenüber 32%, die gutem Aussehen vor allem für das Privatleben bessere Chancen zuordnen.
brigitte.de/versand/show_print.php3 [07.01.2002] [nicht mehr online]
[17] Cindy Jackson im Interview mit Danny Danzinger, http://www.cindyjackson.com [10.10.2002]
[18] ibid.
[19] Altsein gelte fast als Krankheit, erklärt Edgar Biemer, Professor für plastische Chirurgie am Münchner Klinikum rechts der Isar. „… Falten und hängende Lider werden in manchen Berufen schon als Zumutung empfunden.“
DER SPIEGEL 12/2000, 20. März 2000,
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,69499,00.html [12.01.02]
[20] Der Spiegel, 47/2002, p. 228